Halt und Hoffnung
mit
Jodie Turner-Smith

Vor einem Jahrzehnt folgte JODIE TURNER-SMITH ihrem Herzen nach Hollywood und wagte es, ein Risiko einzugehen. Und jetzt, nachdem sie bei ihrer herausragenden Performance in Queen & Slim die Aufmerksamkeit der Welt auf sich gezogen hat, zahlt es sich auf jeden Fall aus. Hier spricht sie mit ALICE CASELY-HAYFORD über die Bedeutung des Geschichtenerzählens, Mutterschaft und warum sie optimistisch ist, was den bevorstehenden Wandel betrifft
Ende 2019 gelang Jodie Turner-Smith mit ihrem faszinierenden Auftritt in Queen & Slim an der Seite eines ebenso fesselnden Daniel Kaluuya der Durchbruch in Hollywood. Der Film ist eine unerwartete, wunderschöne Liebesgeschichte, die sich um den tief verankerten Rassismus in den Vereinigten Staaten rankt und aktuelle Themen wie polizeiliche Gewalt, soziale Unruhen sowie Klassifizierungen aufgreift. Er ist seit seiner Veröffentlichung noch relevanter und schmerzhafter und obwohl er nach seinem Kinodebut mit positiven Kritiken überhäuft wurde, so lässt sich nur erahnen, wie der Film aufgenommen worden wäre und welche Auswirkungen er hätte haben können, wenn er sechs Monate später herausgekommen wäre.
Seit der Ausstrahlung auf HBO im August haben sowohl die Geschichte des Films als auch Turner-Smith in der Hauptrolle zurecht die Aufmerksamkeit von einem breiten Publikum erhalten. Die in England geborene und in den USA aufgewachsene Schauspielern, die zuvor als Model tätig war, mag dem einen oder anderen bereits in diversen Musikvideos unter der Regie von Hype Williams sowie der TV-Serie True Blood und dem Netflix-Drama Nightflyers aufgefallen sein, doch ihre Leistung in Queen & Slim rückte die Schauspielerin ins absolute Rampenlicht der Filmindustrie. „Die Botschaften des Films polarisieren in vielerlei Hinsicht“, erzählt mir Turner-Smith in unserem Zoom-Telefonat aus ihrem Zuhause in Topanga, das sie mit Ehemann Joshua Jackson und der gemeinsamen, im April geborenen Tochter bewohnt. „Es ist keineswegs ein perfekter Film, aber es gab so viele Dinge, die mich beim Lesen des Drehbuchs angesprochen haben, dass ich ein Teil davon sein wollte und ich war stolz auf das, was der Film zu sagen hatte – [Dinge], die im Jahr 2020 sogar noch relevanter geworden sind.“
Die meisterhaft von Lena Waithe geschriebenen Wendungen des Films, die faszinierende Kameraführung von Melina Matsoukas, die Filmmusik von Dev Hynes – auch bekannt als Blood Orange – und die Performances des Hauptduos sind sicherlich Beispiele für meisterliches Können vom Feinsten. „Was Queen & Slim als Film war… was Melina Matsoukas als Regisseurin geleistet hat… dieser Film hat den Weg für Darauffolgende geebnet. Ähnlich wie Jordan Peele, der mit Get Out die Tür für Filme wie Queen & Slim geöffnet hat“, bestätigt Turner-Smith.
Ein positiver Nebeneffekt des traumatischen Jahres 2020 liegt darin, dass sämtliche Branchen regelrecht gezwungen wurden, sich mit sozialen Missständen auseinanderzusetzen und Arbeitsprozesse zu hinterfragen, Teams zu diversifizieren sowie Raum für all diejenigen zu schaffen, die seit jeher benachteiligt wurden. Turner-Smith blickt diesen grundlegenden Veränderungen optimistisch entgegen. „Was auch immer Menschen dazu bewegt, den Wandel voranzutreiben, sei es das Schuldbewusstsein der Weißen oder der aufrichtige Wunsch, ein Bündnis zu schließen… was zählt ist, dass es geschieht. So haben wir mehr Möglichkeiten, unsere Geschichten zu erzählen, und je mehr Geschichten erzählt werden, desto mehr Türen werden für nachfolgende Geschichtenerzähler geöffnet“, so Turner-Smith. „Ebenso verhielt es sich mit der #MeToo-Bewegung, die Regisseurinnen zu mehr beruflichen Chancen und Gleichberechtigung verholfen hat. Selbst wenn dies nur eine Art von Alibipolitik ist, so haben wir eine weitere Tür in Richtung Wandel aufgestoßen.“
„Die Tatsache, dass diese Tür einen Spalt weit offen ist…“ fährt sie fort, „durch diesen Spalt kann immer noch Wasser hineinfließen, die Tür wird weiter aufgedrückt und durch das Gewicht des Wassers wird die Tür immer weiter geöffnet. Es geht um die Widerstandsfähigkeit der „Black People“, die Glückseligkeit der „Black People“ und die Schönheit der „Black People“. Natürlich ist es großartig, dass sich die breite Masse mehr unserer Community widmet, uns Gehör schenkt und unsere Auszeichnungen anerkennt, doch ganz gleich, ob der Wandel stattfindet oder nicht, wir lassen uns nicht mehr vertreiben und wir werden weiterhin unsere Geschichten erzählen und veröffentlichen.“
Von den Rollen, zu denen sie sich hingezogen fühlt, bis hin zu der Offenheit, mit der sie über die Filmindustrie und die Welt im Allgemeinen spricht, ist es offensichtlich, dass die 34-jährige Turner-Smith etwas bewirken will, indem sie vielseitigere, repräsentativere Darstellungen von echten Frauen schafft.
„Es geht um die WIDERSTANDSFÄHIGKEIT der „Black People“, die GLÜCKSELIGKEIT der „Black People“ und die SCHÖNHEIT der „Black People““
Sie fühle sich von ihren Freunden, Kollegen und Vorbildern in ihrem Kampf für diese echten Geschichten motiviert und bestärkt, doch ein Mensch steche hierbei besonders heraus. „Meine Bewunderung für diese Frau ist so überwältigend“, ihre Stimme beginnt zu zittern bei ihrer Lobesrede über Michaela Coel, der genialen Frau hinter dem Lockdown-Serienhit I May Destroy You. „Jedes Mal musste ich mich nach dem Anschauen einer Folge erstmal sammeln und darüber nachdenken und ich glaube nach der fünften Episode schluchzte ich nur so vor mich hin. Wie gerne würde ich ihr einen Brief schreiben und ihr mitteilen, wie sehr ich sie und ihre Arbeit respektiere und bewundere. Lasst uns einen Michaela-Coel-Fanclub gründen!“
Dank Frauen wie Coel und Turner-Smith sehen wir immer mehr „Women of Color“ auf den Leinwänden, in der Hauptrolle, in der Rolle der Liebespartner und als Heldinnen. Beim Anblick ihrer einzigartigen Schönheit, die sie mir in unserem Zoom-Videotelefonat komplett ungeschminkt präsentiert, frage ich mich, wie sich diese wunderschöne Frau jemals unattraktiv fühlen konnte. Doch auch sie wuchs mit den Realitäten und Ungerechtigkeiten im Zuge rassistischer Sozialstrukturen und Denkweisen auf, die nach wie vor vorherrschend sind. „Die Menschen scheuen sich vor dieser unangenehmen Konversation über Rassismus“, sagt sie. „Doch die Wahrheit ist, egal, ob deine Eltern dir unzählige Male sagen, wie wunderschön du bist, letztendlich haben die Medien für eine unfassbar lange Zeit ein ganz anderes Schönheitsideal der Frau propagiert und die Botschaft verbreitet, dass „Women of Color“ weniger begehrenswert und attraktiv sind.“
„Ich bin ebenso im Viola-Davis-Fanclub!“, scherzt die Schauspielerin und unterbricht dieses sensible Konversationsthema mit ihrer humoristischen Seite. „Nachdem ich die 15 Folgen der Serie How To Get Away With Murder regelrecht verschlungen hatte, war ich hin und weg von ihrem beeindruckenden Talent sowie ihrer atemberaubenden Schönheit…. Falls Sie Viola Davis einmal interviewen sollten, können Sie Ihr bitte ausrichten, dass ich nicht genug von ihr kriegen kann? Ich nerve mein Team ständig, dass ich mit Viola Davis arbeiten möchte, um von ihrer Großartigkeit lernen zu können.“
Während wir uns alle wünschen, dass zukünftige Projekte mit Michaela Coel und Viola Davis ins Leben gerufen werden, stehen Turner-Smith zuvor eine Reihe wichtiger Rollen bevor. Gerade erst wurde sie als Konterpart zu John Boyega in Borderland bekannt gegeben, dessen Dreharbeiten voraussichtlich im Frühjahr nächsten Jahres beginnen. Zudem stehen die Projekte After Young mit Colin Farrell im Jahr 2021 sowie Without Remorse mit Michael B. Jordan an, in der sie ein Mitglied der Navy SEALs verkörpert. Bei den Dreharbeiten dazu war sie gerade im zweiten Trimester ihrer Schwangerschaft. „All meine männlichen Kollegen trugen die kompletten Ausrüstungen, sprangen aus Helikoptern heraus, schleppten schwere Schusswaffen und retteten die Welt. Und ich habe all das mit einem Ungeborenen in mir gemacht. Ein Beweis dafür, dass Frauen verdammt nochmal alles können, was Männer können.“
Turner-Smith entschied sich für eine Hausgeburt, wobei das Risiko schwangerschaftsbedingter Todesfälle bei Schwarzen Frauen mehr als dreimal höher ist als bei Weißen. Sie wurde während ihrer viertägigen Geburt von ihrem Ehemann, ihrer Doula, ihrer Hebamme und ihrer Mutter unterstützt. „Mein Mann wusch unser Baby direkt nach der Entbindung, während die Doula und Hebamme alles reinigten. Anschließend schliefen meine Tochter, mein Mann und ich für 12 Stunden. Ich brauchte das so sehr. Wir alle brauchten das.“
„Für einen MOMENT lang fühlte ich mich extrem hoffnungsvoll, weil so viele Menschen sich dem Thema des ANTIRASSISMUS stellten. Doch dieser Enthusiasmus schwindet mit der Zeit und die Stimmen werden wieder LEISER“
Im Alter von acht Jahren zog Turner-Smith mit ihrer Mutter nach der Scheidung der Eltern nach Pittsburgh, Pennsylvania. Für die Schauspielerin und ihren Ehemann, der ebenso alleine von seiner Mutter aufgezogen wurde, steht die Erziehung der Tochter in einer liebevollen Umgebung voller Respekt und Unterstützung im absoluten Mittelpunkt. „Wir wollen ihr einfach ein besseres Leben ermöglichen. Auch wenn ich wirklich kein schlechtes Leben hatte, so würde ich mein Kind gerne von all den schmerzlichen Erfahrungen bewahren“, verrät sie.
Kurz nach der Geburt ihrer Tochter, inmitten der Pandemie, musste sich die Welt einer weiteren globalen Krise stellen, die von der Ermordung von George Floyd durch einen Polizisten ausgelöst wurde und eine unaufhaltsame Welle der „Black Lives Matter“-Bewegung zur Folge hatte. „Wir beschlossen für die Geburt nach West Hollywood zu ziehen, um im Notfall näher am Krankenhaus zu sein. Wir konnten ständig Sirenen und die Protestmärsche hören“, erinnert sie sich. „Die ganzen Unruhen waren quasi vor meiner Haustür und ich habe mich ewig lang davor gedrückt, das Video von George Floyds Ermordung anzusehen. Ich kümmerte mich um mein neugeborenes Baby und musste an all die über Generationen weitergegebenen Traumata in unserer Familie denken, vor denen ich meine Tochter so sehr bewahren möchte. Ich versuchte mit aller Kraft, ihr nicht diese Angst, Traurigkeit und Sorgen mit der Muttermilch weiterzugeben. Deshalb verdrängte ich einiges, was da draußen vor sich ging und blieb größtenteils zu Hause mit meiner Familie.“
Es sind nun einige Monate vergangen und die 34-Jährige gibt an jedem einzelnen Tag ihr Bestes, um die tiefen Wunden dieses Jahres zu verarbeiten. „Für einen Moment lang fühlte ich mich extrem hoffnungsvoll, weil so viele Menschen sich dem Thema des Antirassismus stellten. Doch dieser Enthusiasmus schwindet mit der Zeit und die Stimmen werden wieder leiser.“ Turner-Smith nutzt ihre Stimme weiterhin aktiv und spricht auf den sozialen Medien über Missstände und Themen, die ihr am Herzen liegen, unterstützt ihre liebsten Stars, teilt humoristische Memes und ihre Gedanken zu Liebe.
„Ich liebe meinen Ehemann wirklich von ganzem Herzen. Ich würde es am liebsten jeden Tag in die Welt hinausposaunen, wie sehr ich ihn liebe, aber das erspare ich meinen Mitmenschen“, sagt sie selbstbewusst. „Er ist einfach ein großartiger Mann und heute feiern wir unseren zweiten Jahrestag. Unsere Beziehung wird immer besser und dafür bin ich so dankbar und das teile ich gerne auf den sozialen Medien – er sieht verdammt gut aus, ist intelligent und unglaublich talentiert. Ich weiß, was für ein Glück ich mit ihm habe, dass er meine Liebe gleichermaßen erwidert, sich nicht scheut, mir das auch immer wieder zu sagen, und mich stets aufmuntert.“
Auf die Frage, ob das Ehepaar plant, gemeinsam vor die Kamera zu treten, schwärmt sie: „Liebend gerne würde ich mit ihm auf der Bühne zusammenarbeiten. Ich bin gespannt darauf, was als nächstes in seiner Karriere so ansteht“, sagt sie mit einem Strahlen im Gesicht. „Ein neues Kapitel beginnt gerade für ihn. Er ist nun in seinen Vierzigern und seit seiner Kindheit als Schauspieler tätig. Jetzt glänzt er zudem in seinen neuen Rollen als Ehemann und Vater.“
„So sehr ich auch ERSCHÖPFT bin und so sehr ich aufgrund der Geschehnisse, die passieren und auch weiterhin passieren werden, UNTRÖSTLICH bin, so sehr bin ich aber in meinem Wesen auch HOFFNUNGSVOLL“
Das gemeinsame Outing als Paar auf dem roten Teppich während der BAFTA-Verleihung im Februar, katapultierte die beiden zu einem der beliebtesten Duos Hollywoods. Passend dazu zog Turner-Smith mit ihrer atemberaubenden gelben Gucci-Robe, die sich über ihr kleines Babybäuchlein wölbte, sämtliche Blicke und Blitzlichter auf sich. „[Alessandro] hatte mir im Vorfeld einige Entwürfe gezeigt und ich fand es entzückend, wie er meinen kleinen Babybauch in das Design mit einarbeitete. Mein Stil entwickelt sich immer weiter, doch ich bleibe meiner femininen und humorvollen Seite treu, egal, was kommen mag. Ich bin eben außergewöhnlich!“
Die Schauspielerin wurde im Juli an der Seite von Anjelica Huston, Susie Cave und Florence Welch als das neue Gesicht der „Bloom“-Parfumkampagne von Gucci gefeiert. „Ich habe in diesen drei faszinierenden Frauen wunderbare Freundinnen gewonnen“, bestätigt sie. „Es hat mir unglaublich viel Spaß gemacht mit diesen selbstbewussten, starken und interessanten Persönlichkeiten arbeiten zu dürfen.“
Mit der Modewelt, die ihr zu Füßen liegt, einer Reihe von Projekten für 2021 und der aufregenden neuen Rolle der Mutterschaft hat Turner-Smith trotz der Schrecken dieses Jahres viele Dinge, für die sie dankbar sein kann und auf die sie sich freuen kann. „Sich zu entscheiden, ein Kind zu haben, schenkt Hoffnung. Im Hier und Jetzt zu leben, schenkt ebenfalls Hoffnung. So sehr ich auch erschöpft bin und so sehr ich aufgrund der Geschehnisse, die passieren und auch weiterhin passieren werden, untröstlich bin, so sehr bin ich aber in meinem Wesen auch hoffnungsvoll, sonst würde ich nicht hier sein, um mein zweijähriges Jubiläum mit meinem Mann zu feiern, den ich liebe sehr liebe, und unsere Tochter, die wir vor Kurzem auf die Welt gebracht haben.“ Was Turner-Smiths steile Karriere angeht, so können wir es kaum erwarten, die grandiosen Rollen, in die sie schlüpfen wird, zu bestaunen.
ERINNERUNGEN
Von Lektionen, die sie als Mutter gelernt hat, bis hin zu dem Moment, als sie die Kraft ihrer eigenen Stimme erkannte, Coverstar Jodie Turner-Smith blickt auf einige ihrer lebensverändernden ersten Erinnerungen zurück.