Libidoverlust: Die Ursachen und wie man sie behandelt
Wir haben weniger davon als je zuvor, doch liegt das am Zeitmangel oder an schwindender Libido? EVIE LEATHAM erörtert, wie wir Sex wieder in den Vordergrund rücken
Wir reden zwar viel darüber, aber es scheint, als würden wir es einfach nicht tun: Forschungen belegen, dass wir weniger Sex haben als zuvor. Eine Studie, die im vergangenen Jahr in der Zeitschrift Archives of Sexual Behavior veröffentlicht wurde, berichtete, dass Amerikaner 15% weniger Sex haben als noch in den 90er-Jahren. Leidet unser Sexleben also nur darunter, dass wir zu viel um die Ohren haben und müde sind oder gibt es eine tiefer liegende Ursache?
Alltag vs. Libido
Es passiert schnell, dass wir mental zu erschöpft sind, um über Sex nachzudenken – geschweige denn diesen zu priorisieren. „Wir wissen, dass das Feuer durch zu viel Ablenkung erlischt“, sagt Nina Brochmann, Co-Autorin von The Wonder Down Under mit Ellen Støkken Dahl. Beide Autorinnen sind Spezialisten im Bereich der sexuellen Gesundheitsaufklärung. Unsere digitale Konnektivität hat zweifellos einen negativen Einfluss auf unsere mentalen und physischen Verbindungen. Ebenso wichtig für unser Liebesleben ist ausreichend Schlaf. Versuchen Sie, ab 21 Uhr digital abzuschalten, indem Sie alle Geräte ausschalten und konsequent aus dem Schlafzimmer verbannen. „Es ist wichtig, dass Sie sich mit Ihrem Partner unterhalten und sich Zeit nehmen, um wieder zusammenzufinden, ohne Handys, Computer oder Netflix“, so Støkken Dahl.
Setzen Sie Prioritäten
Laut Esther Perel, Autorin von Mating in Captivity, ist die Priorisierung von Sex der Schlüssel zum Erfolg, denn die romantische Vorstellung, dass guter Sex einfach so passiert, ist oft der Grund, warum er nicht stattfindet. Sie rät Paaren, den Mythos der Spontanität in Frage zu stellen: „Was auch immer in einer langfristigen Beziehung ‚einfach passieren’ wird, ist bereits passiert“, sagt sie abschließend in ihrem Ted Talk mit dem Titel The secret to desire in a long-term relationship. „Engagierter Sex ist vorsätzlicher Sex; er ist absichtlich, fokussiert und präsent.“ Die geistige Absicht ist oft notwendig in einer Welt, die keine Grenze mehr zwischen dem Privat- und Arbeitsleben sowie Reiseverpflichtungen zieht und somit zur Folge hat, dass Partner nachts häufig aneinander vorbeileben.
Andere moderne Libido-Killer, insbesondere Stress und schlaflose Nächte, lassen sich nicht so leicht bewältigen. „Sie sind die häufigsten Ursachen für sexuelle Unlust. Wenn man ängstlich und erschöpft ist und wenig schläft, ist es umso wahrscheinlicher, dass man weniger Sex hat“, erklärt Dr. Lauren Streicher, Medical Director des Northwestern Medicine Center for Sexual Medicine and Menopause in Chicago. Während sowohl chronischer Stress als auch Schlaflosigkeit behandelt werden müssen, kann eine Analyse Ihrer Sicht auf Ihr Sexualleben dabei helfen, sporadische Krisezeiten zu umgehen. „Ich erinnere Frauen immer wieder daran, dass man auch ohne Geschlechtsverkehr sexuell aktiv sein kann“, sagt Dr. Streicher. „Man muss keinen Sex haben, um sich zu vergnügen, zum Orgasmus zu kommen oder um sich dem Partner nahe zu fühlen. Sex und Intimitäten auf diese Weise umzugestalten kann eine Erleichterung sein.“
Männliche und weibliche Lust
„Sex wird oft fälschlicherweise als ‚Trieb’ bezeichnet, was irreführend ist“, erläutert Brochmann. „Das traditionelle Sexreaktionsmodell, das in den 70er-Jahren an Popularität gewann, basierte weitgehend auf der männlichen Erfahrung: spontane körperliche Erregung, die direkt mit dem Begehren verbunden ist. Allerdings ist es so, dass viele Frauen ein reaktives Verlangen verspüren: sie müssen mental erregt werden, bevor sie sich auch körperlich erregt fühlen können. Beides führt schlussendlich zu einem generellen Gefühl des Verlangens“, so Støkken Dahl. „Sich die Zeit zu nehmen, um den Körper zu erforschen und Lustgefühle durch Masturbation wiederzuentdecken kann dabei helfen, Lust zu wecken und sein eigenes Tempo zu bestimmen“, weiß Brochmann. So können Sie Ihr Selbstbewusstsein steigern und Ihre Reise der sexuellen Entdeckung fortsetzen. Gleichzeitig kann dies die mit der Monogamie assoziierte Monotonie reduzieren.
Weniger Verlangen
„Verlangen und Lust hängen bei Frauen von mehreren Faktoren ab“, erklärt Dr. Streicher. Ein doppelter Verlust kann viele Gründe haben, von der Menopause über Zeiten der Depression bis hin zu starkem Stress oder der Einnahme eines neuen verschreibungspflichtigen Medikaments – sogar hormonelle Verhütung. „Die meisten Frauen nehmen die Antibabypille ohne Probleme“, sagt Dr. Streicher. „Aber es gibt viele, die dadurch einen deutlichen Libidoverlust erleben oder eine vaginale Trockenheit entwickeln. Ich empfehle oft den Wechsel zu einem Implantat, wie der Kupferspirale, die nicht die gleiche Wirkung auf die Libido hat.“
Gemütsschwankungen sind normal und es gibt Zeiten, in denen es ganz natürlich ist, dass Ihre Libido einen Tiefpunkt erlebt. Wichtig ist, dass man ehrlich zu sich selbst ist. „Eine gedämpfte Libido stellt nur dann ein wirkliches Problem dar, wenn sie Sie oder Ihren Partner betrübt“, versichert Dr. Streicher. Ein außerordentlicher oder plötzlicher Rückgang des Verlangens kann ein Symptom dafür sein, dass etwas anderes nicht stimmt, sei es arbeitsbedingter Stress, chronische Angst, ein geringes Selbstwertgefühl oder eine Veränderung in der Beziehung – und es bedarf Mut (und oft auch eine therapeutische Behandlung), um sich diesem Problem zu stellen.